Plüschow/08. Innenräume im 18. Jahrhundert

• 01. Einführung
• 02. Forschungsstand
• 03. Geschichte der Anlage vor dem 18. Jahrhundert
• 04. Überblick zur Anlage
• 05. Wirtschaftlicher Kontext
• 06. Besitzverhältnisse im 18. Jahrhundert
• 07. Herrenhaus: Baugeschichte und Architektur
• 08. Innenräume im 18. Jahrhundert
• 09. Garten und Park im 18. Jahrhundert
• 10. Wirtschaftsanlagen
• 11. Kirche und Dorfstrukturen
• 12. Geschichte der Anlage nach dem 18. Jahrhundert
• 13. Quellen- und Literaturverzeichnis

Kurztext Der Grundriss des Herrenhauses Plüschow ist vergleichbar mit benachbarten Häusern. Durch einen in der Querachse des Hauses liegenden Korridor ergeben sich im Parterre eine Enfilade durch fünf dem Gutshof zugewandte Räume (einschließlich Diele) sowie zwei kleinere Rundgänge durch vier bzw. drei Räume (einschließlich Speisesaal). Diese Rundgänge liegen links und rechts der Längsachse des Hauses, bestehend aus Diele und Treppenhalle. Die zweiarmige, fünfläufige, mit geteiltem An- und gemeinsamen Austritt versehene Treppe (Abb.: 49-56, 16, 57) folgt höfischem Vorbild. Sie verbindet Diele und Treppenhalle des Parterres mit dem Korridorbereich in der ersten Etage. Es wäre naheliegend, dass die Treppenhalle in Plüschow auch als sommerlicher Festraum gedient hat. Alle Decken der Diele, des Korridors und der Treppenhalle sowie die Treppenuntersicht sind mit zartem, (heute) weißem Rokokostuck verziert. Dieser setzt sich in den angrenzenden (Privat-) Räumen des 18. Jahrhunderts (Abb.: 58) teilweise fort. Seine Entstehungszeit lässt sich anhand einer Kartusche auf 1763 datieren. Im Stuck (Abb.: 59-68) (zeigen sich C-förmige Blattschwünge und Ranken, aus denen kleine Blumenstängel erwachsen oder auf denen sich Insekten rhaschende Vögel niedergelassen haben – Motive, die auf den draußen liegenden Garten und die Natur verweisen. Drei inhaltlich miteinander zusammenhängende Fragmente einer Leinentapete/Wandbespannung (Abb.: 69-78), aufgefunden 2023 in Plüschow, zeigen in leuchtenden Farben eine mit italienischen Zitaten (u.a. einem Orangenbaum) versehene Ideallandschaft am See. Langtext Der Grundriss des Herrenhauses Plüschow (Abb.: 79) ähnelt, nach Sabine Bock, zunächst jenem von örtlich und zeitlich vergleichbaren Herrenhäusern wie ehemals Steinort (Sztynort, Polen, 1689), Steinhorst (Deutschland, 1721/1724) und Weisdin (Deutschland, 1749). In diesen gibt es während des 18. Jahrhunderts eine übliche Raumfolge, entsprechend der man im Kreis durch repräsentative Räume des ganzen Hauses geleitet wird. In Plüschow (1763) ist in diesen Grundriss im Parterre und in der ersten Etage ein in der Querachse des Hauses liegender Korridor eingefügt. Auf diese Weise ergeben sich im Parterre eine Enfilade durch fünf dem Gutshof zugewandte Räume (einschließlich Diele) sowie zwei kleinere Rundgänge durch vier bzw. drei Räume (einschließlich Speisesaal). Diese Rundgänge liegen links und rechts der Längsachse des Hauses, bestehend aus Diele und Treppenhalle. Während die Enfilade in Plüschow nur den Blick auf den Gutshof zulässt, ermöglichen die beiden kleineren Rundgänge zusätzlich den Blick in den rückwärtigen (und ehemals seitlich liegenden Barock-) Garten sowie auf die Wasserfläche des Mühlensees mit dahinterliegender Waldkante (Abb.: 3). Durch mit Flügeltüren verschließbare Korridorabschnitte lassen sich so im Parterre zwei separate Raumfolgen bzw. Wohnbereiche schaffen. Auch in der ersten Etage liegen entsprechend zu beiden Seiten des repräsentativen und raumgreifenden Treppenhauses zwei separierbare Wohnbereiche aus zwei mal vier Räumen (Abb.: 80). Die zweiarmige, fünfläufige, mit geteiltem An- und gemeinsamem Austritt versehene Treppe (Abb.: 49-56, 16, 57) folgt höfischem Vorbild. Sie verbindet Diele und Treppenhalle des Parterres (Längsachse des Hauses) mit dem Korridorbereich in der ersten Etage (Querachse). Sabine Bock verweist hinsichtlich der Vergleichbarkeit des Treppenhauses erneut auf Herrenhäuser wie ehemals Steinort (Sztynort), Steinhorst, Weisdin, aber auch auf ehemals Essemäggi (Ääsmäe, Estland, 1770), Gützkow (Deutschland, 1777) und ehemals Großenhof (Suuremõisa, Estland, 1755-1760), stellt aber auch eine Verbindung zu städtischen Dielenhäusern in Lübeck her (wo, im Gegensatz zu Plüschow, Diele und Treppenhaus einen Raum bildeten). Der Diplom-Ingenieur (vermutlich der Architektur) Edgar Jacobs lobt in seiner 1937 publizierten Dissertationsschrift „Mecklenburgische Herrenhöfe“ die handwerkliche Meisterschaft, mit der das Treppenhaus von Plüschow gestaltet wurde: „Die mecklenburgischen Herrenhäuser sind reich an solchen handwerklichen Meisterstücken, die keineswegs minder beachtet werden dürfen als etwa Grundrißliches, eine Fassade oder Aehnliches. Da ist z.B. die Treppe in Plüschow in einem Bau des Hamburger Handelsherrn Stenglin (1760).“ Während in Lübeck die hohen, über zwei Etagen reichenden Dielen zentraler Aufenthalts- und Arbeitsort von Kaufleuten und Handwerkern waren, diente das Treppenhaus in Plüschow womöglich dem Durchschreiten bei repräsentativen Anlässen im Zusammenhang mit Einladungen von Handelspartnern oder Kollegen aus dem diplomatischen Umfeld in das von Stenglinsche „Haus auf dem Land“. Jedoch führte die Treppe in Plüschow den Gast (aus Hamburg, Dänemark oder vielleicht gar Übersee) nicht in Festräume oder einen Festsaal, wie sie zum Beispiel in Pronstorf (link extern zu Kapitel 8 Innenraum im Text Pronstorf), Emkendorf (link extern zu Kapitel 8 Innenraum im Text Emkendorf) (Deutschland, Schleswig-Holstein, historisch Herzogtum Holstein) oder in Prebberede (link extern zu Kapitel 8 Innenraum im Text Prebberede) (Deutschland, Mecklenburg-Vorpommern, historisch Mecklenburg-Schwerin) in der ersten Etage vorhanden sind. Es kann daher vermutet werden, dass die Treppenhalle in Plüschow (Abb.: 49) an sich, ausgelegt mit einem repräsentativen Fußboden aus quadratischen roten und graugrünen Natursteinplatten (Gotland-Kalkstein, Abb.: 50), als sommerlicher Festsaal (Gartensaal des Parterres und Festsaal der ersten Etage in einem) gedient haben könnte, wenn die Gesellschaft größer war, als man sie im Speisesaal des Hauses hätte unterbringen können oder wollen. Das zusätzliche Öffnen eines Portals hin zu einem aufwendig gestalteten Gartenparterre (Abb.: 3) vor dem Hintergrund einer Seekulisse stellt das Sitzen an sommerlich-festlicher Tafel im kühlen Schatten der mit weißen Stuckgirlanden geschmückten Treppenhalle Plüschows anschaulich vor Augen – zumal der Weg aus der im Keller gelegenen Küche hinauf zur Tafel sich bei solchen Gelegenheiten sogar verkürzen ließe (Abb.: 79, 81). Diese Nutzung eines halb innen, halb außen liegenden, geöffneten Aufenthaltsbereiches im Parterre legt zudem baulich seit dem frühen 20. Jahrhundert eine teilverglaste, grüngestrichene Holzveranda (Abb.: 82-84) nahe. Die beiden Antritte zu den hölzernen Stufen der Plüschower Treppenläufe (Abb.: 16, 57) mit hölzernem barocken Geländer liegen im Parterre zwischen zwei freistehenden und zwei teilweise in die Wand eingelassenen, im Grundriss viereckigen Holzstützen. Die beiden im Raum stehenden Stützen werden korbbogenartig überspannt, die Antrittsstufen von Arkaden. Trotzdem alle Decken der Diele, des Korridors und der Treppenhalle sowie die Treppenuntersicht mit zartem, (heute) weißem Rokokostuck verziert sind, trennen die Bogenmotive einen hellen, festlichen und nach oben gestaffelten Raum (die Treppenhalle, Abb.: 80) von einen Raum mit Verteilerfunktion (dem Korridor) ab. Auch durch diese auffällige Binnengliederung im Parterre ist das Sitzen an festlicher Tafel in der Treppenhalle vorstellbar. Im Stuck (Abb.: 59-68, sowohl im Mittelspiegel als auch auf den flachen Podesten der Ornamentzonen der Decken unterhalb des Mittelspiegels – z.B. in der Diele) zeigen sich C-förmige Blattschwünge und Ranken, aus denen kleine Blumenstängel erwachsen oder auf denen sich Insekten erhaschende Vögel niedergelassen haben – Motive, die auf den draußen liegenden Garten und die Natur verweisen und würdiger Schmuck eines Gartensaals, mindestens aber einer Villa suburbana wären. Der Rokokoschmuck der Treppenhalle wird in den angrenzenden (Privat-) Räumen des 18. Jahrhunderts (Abb.: 58) teilweise fortgeführt. Seine Entstehungszeit lässt sich anhand einer Kartusche auf 1763 datieren. Ob er im 18. Jahrhundert polychrom war, lässt sich nicht sagen. Im Speisesaal des Parterres ist heute bis auf ein einfaches Gesims kein Stuck vorhanden. Erhaltene Grundrisszeichnungen des Parterres und der ersten Etage (Abb.: 79) stammen mit Wahrscheinlichkeit aus dem 19. Jahrhundert (vermutlich aufgrund des Schriftduktus vom Ende des 19. Jahrhunderts). Sie geben die Zimmernutzung (frühestens Ende des 19. Jahrhunderts) mittels handschriftlicher Eintragung wieder. Im Parterre liegen links der als Diele bezeichneten Eingangshalle zwei Zimmer des Herrn (mit Blick auf den Gutshof). Diese sind über ein Verbindungszimmer mit zwei Zimmern der Dame (links der Treppenhalle, mit Blick in den rückwärtigen Garten) verbunden. Rechts der Diele liegen, zum Zeitpunkt der Zeichnung, ein Esszimmer, ein Mädchenzimmer und eine Speisekammer (möglicherweise die Anrichte). Über ein Verbindungszimmer konnten die Bediensteten von der Anrichte aus den zum Garten hin gelegenen Speisesaal (rechts der Treppenhalle) betreten. In der ersten Etage liegen links (mit Blick auf den Gutshof) zwei Zimmer der Tochter und links neben der Treppenhalle (mit Blick zum Garten) zwei Fremdenzimmer. Rechts (mit Blick auf den Gutshof) werden zwei Zimmer als „Fremden-Gobelin-Zimmer“ und ein weiteres als „Zimmer“ ohne nähere Definition bezeichnet. Rechts der Treppenhalle (mit Blick in den Garten) liegen zwei Schlafzimmer. Eine einfache Holztreppe, verborgen in einem weiteren kleinen Zimmer (mit Blick auf den Gutshof), führt von der ersten Etage ins Dach (Abb.: 81, 85-86) und erschließt zwei in den Giebeln angeordnete Stuben (mit Blick auf den Gutshof und zum Garten) sowie zwei Dachbodenbereiche (Abb.: 87-89). Die größere Stube mit drei Fenstern liegt im Giebel des Hauses zum Garten. Während vermutlich alle Zimmer im Haus beheizbar waren – und von den im 19. Jahrhundert vorhandenen Öfen heute noch drei erhalten sind –, waren es die Stuben im Dach nicht. Da das Herrenhaus Plüschow keine gravierenden inneren Umbauten zeigt und sich der beschriebene Grundriss aus dem 19. Jahrhundert heute umfänglich nachvollziehen lässt, kann davon ausgegangen werden, dass dieser ebenfalls die Raumfolge der Erbauungszeit wiedergibt. Auch die im 19. Jahrhundert eingetragene Nutzung der Räumlichkeiten könnte mit derjenigen während des 18. Jahrhunderts durch die Familie von Stenglin vergleichbar gewesen sein. Ein zweigeschossiger Dachstuhl aus Kiefernholz (Abb.: 80), der in einem (wohl mehrjährigen) Arbeitsgang errichtet wurde, ist auf die sich etagenweise verjüngenden Backsteinwände des Herrenhauses aufgeständert. Die dendrochronologische Untersuchung, durchgeführt im Juni 2023, ergab Fälldaten der Bäume zwischen 1757 und 1760. Der flachgewölbte, aus Ziegelsteinen gemauerte Keller ist zweigeteilt. Er besteht aus dem kleineren, von der Schmalseite des Hauses zugänglichen Küchenbereich mit einem (beheizbaren) Raum für die „Beitischler“ und der (beheizbaren) „Leutestube“ (mit Hausbrunnen) sowie dem größeren Kellerbereich (zum Aufbewahren von Lebensmitteln sowie zum Schlachten). Im Zentrum dieses Kellergeschosses, ebenfalls separat von außen zugänglich, befindet sich eine Gewölbehalle mit Treppenverbindung in die Treppenhalle des Herrenhauses. Inventarlisten zu Mobiliar, Wäsche, Geschirr, Silberzeug oder Gemälden sind nicht erhalten. Josephi spricht bereits 1916 bedauernd über die nicht mehr vorhandene Ausstattung aus dem späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert: „(…) dahin ist das glänzende Leben, das einst die schönen Räume erfüllte, dahin sind die wertvollen Ausstattungsstücke, mit denen einst Reichtum und feinsinnige Kunstfreude die Zimmer und Säle schmückte. Nur noch wenige Reste zeugen von verschwundener Rokokoherrlichkeit.“ Der bis heute in vielen Räumen des Herrenhauses Plüschow erhaltene feingliedrige, monochrome Rokokostuck (Abb.: 59-68) mit reduziertem Formenrepertoire (C-Schwünge, Blattstängel, Blüten, wenige Vögel und Insekten) bleibt ohne Nennung eines Stuckateurs oder einer Werkstatt. Sabine Bock vermutet, dass es sich um Johann Nepomuk Metz147Johann Nepomuk Metz, https://www.deutsche-biographie.de/pnd189409827.html, (21.11.2023). (link extern zu Kapitel 8 im Text Prebberede) handeln könnte, der sich zwischen 1754 und 1766 in Mecklenburg, Lübeck und Schleswig-Holstein aufhielt. Bock benennt mindestens das Lübecker Schloss Rantzau (Domkapitel Lübeck, 1766) und vermutet auch das Herrenhaus Prebberede (Abb.: 90-92, wohl ab 1770) als Arbeitsorte von Metz. Auch im Innenraum des „Herrenhauses der Herzöge von Mecklenburg“ in Ratzeburg war Metz als Stuckateur tätig. Führte die repräsentative Treppe in der Halle des Herrenhauses Plüschow zwar in keinen aufwendig gestalteten (Fest-) Saal in der ersten Etage, so gelangten die Besucher doch in zwei mit Wandbespannung dekorierte Zimmer. Noch 1916 kann Sanitätsrat Ebert aus Grevesmühlen die vermutlich alte, eventuell bauzeitliche Dekoration fotografieren. Heute ist sie in weiten Teilen verloren. Eine Wandbespannung (Abb.: 93) zeigte ländliche, sommerliche Szenen vor den Toren einer an einem See gelegenen Stadt, in der sich Spaziergänger, Händler und Bauern bewegten. Die dargestellten Bäume (wohl eine Eberesche und eine Eiche) waren voller reifer Früchte, blühende Stauden schmückten den Vordergrund und eine Lerche betrachtete die Szene. Auf einer weiteren Wandbespannung waren ländliche Szenen einer höfischen Gesellschaft zu sehen. Die dargestellte Architektur stand kulissenhaft in einem Hain aus alten Bäumen. Ein Picknick war als galante Situation wiedergeben. Sabine Bock vermutet, dass die Wandbespannungen aus der Frankfurter Manufaktur von Johann Andreas Benjamin Nothnagel (1729-1804) stammen könnten. Nothnagel war ein in ganz Deutschland und Dänemark bekannter und geschätzter, vermutlich jüdischer Künstler und Kaufmann. Zimmer mit textiler Wandbespannung ausstatten zu können, war im 18. Jahrhundert luxuriös und Ausdruck von Modernität. Die Beispiele in Plüschow waren vermutlich vorgefertigte Bahnen und zeigten noch ein drittes, antikisierendes Motiv. Spätestens 1945 gingen sie nahezu vollständig verloren. Heute sind Reste gewebter, seidener und papierner Wandbespannung mit bunten Blumenmustern erhalten und werden in den Räumen des „Künstlerhauses Schloss Plüschow“ gezeigt. In mehreren heute als Ateliers genutzten Räumen des „Künstlerhauses Schloss Plüschow“ sind ‚Restaurierungsfenster‘ (Abb.: 94-95) erhalten. Sie zeigen ebenfalls eine alte Wandgestaltung, eventuell aus der Erbauungszeit oder um die Wende zum 19. Jahrhundert. Die Freskierung eines zum Garten gelegenen Raumes in der ersten Etage hat farblich und im Aufbau Anklänge an den sogenannten 3. Stil (ornamentalen Stil) römischer Wandmalerei um den Beginn unserer Zeitrechnung. Es darf als außergewöhnlich bezeichnet werden, dass im Sommer 2023 drei inhaltlich miteinander zusammenhängende Fragmente unterschiedlicher Größe einer Leinentapete/Wandbespannung (Abb.: 69-78) aus privater Hand an Miro Zahra und Udo Ratke vom „Künstlerhaus Schloss Plüschow“ übergeben worden sind! Diese wurden zuvor in einer Garage aufbewahrt. Sie zeigen in leuchtenden Farben von grün, blau, rot, orange und braun eine Ideallandschaft am See. Während im Vordergrund botanisch bestimmbare, eher mitteleuropäische sowie dem Mittelmeerraum zuzuordnende Stauden wie Eisenhut, Frauenmantel, Akanthus oder Sonnenblumen wachsen, wird der Mittelgrund zum einen durch eine Menschengruppe bestimmt, die in Betrachtung des technischen Kunstwerks einer Wassermühle vertieft ist, zum anderen von einer Gruppe, innerhalb derer sich eine Heilung zuzutragen scheint: einem aus dem Mund blutenden Mann wird von einem Reiter beschützend die Hand über den Kopf gehalten. Das weiße Pferd des Beschützers führt ein Page, der zusätzlich ein zahmes Äffchen trägt. Diese Szene beobachtet ein in weite blaue Gewänder gehüllter Mann, der dem Betrachter den Rücken zuwendet. Im Hintergrund sind römisch anmutenden Ruinen, eine große Wassermühle als Fachwerkkonstruktion sowie eine mauerumschlossene Stadt mit Renaissancetor und ruinösem Burgturm in einer Gebirgslandschaft zu sehen. Auf einem vor der Stadt gelegenen See gleiten Ausflugsboote ähnlich venezianischen Gondeln, die von Gondolieres mit seitlich im Wasser geführten Riemen vorwärtsbewegtwerden. Die farbenfrohe Kleidung der Menschen lässt an Szenen aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry (Trè Riches Heures du Duc de Berry, 15. Jahrhundert) denken aber auch an die Jahreszeitendarstellungen auf Fresken im Castello del Buonconsiglio in Trento (Ende 14./ Anfang des 15. Jahrhunderts). Die einfach geschnittene Kleidung der meisten Personen auf der wiedergefundenen Plüschower Wandbespannung erinnert eher an Kleidung des 16. Jahrhunderts als an solche des 18. Jahrhunderts. Nur der durch rot hervorgehobene „Beschützer“ trägt einen Rock, der an (englische?) Militärkleidung aus dem 18. Jahrhundert denken lässt. Die Ideallandschaft wird links von einem Früchte tragenden und gleichzeitig blühenden ausgewachsenen, sehr alten Orangenbaum (Citrus sinensis) gerahmt, rechts vielleicht von einer Eiche (Quercus robur), vor der übermannshohe Sonnenblumen blühen. Die Szene wird von einem Wiedehopf (Upupa epops) mit aufgestellter Federhaube betrachtet, der sich auf abgestorbenen Zweigen des Orangenbaumes niedergelassen hat. Ikonografisch ist der Wiedehopf in der Kunst eher negativ besetzt. In dem Roman „Diu Crône“ (1230) des mittelalterlichen Dichters Heinrich von dem Türlin wird der böse Wiedehopf der guten Lerche gegenübergestellt. Und diese Lerche war in Plüschow auf einer zweiten Wandbespannung tatsächlich zu sehen! Wie bereits erwähnt, fotografierte der aus Grevesmühlen stammende Sanitätsrat Arthur Ebert, seit 1900 Mitglied des „Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde“, 1916 die barocken Wandbespannungen in Plüschow. Und auf einem dieser Fotos kann man ziemlich sicher das Pendant zur nun gefundenen (und wohl nicht von Ebert fotografierten) Tapete wiedererkennen: an der Stelle, an der hier der Wiedehopf sitzt, schaut dort eine Lerche (Abb.: 93) auf die Architektur- und Seeszenerie einer „deutschen“ oder „französischen“ Landschaft. Während der Wiedehopf in der „italienischen“ Landschaft in einem Orangenbaum ist, sitzt die Lerche vermutlich in einer weiß blühenden Eberesche (Sorbus aucuparia). Auch hier wird die Szene rechts von einer Eiche begrenzt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die nun wiedergefundene Tapete mit „italienischer Landschaft“ nahezu vollständig erhalten geblieben ist. Dass sie, ebenso wie ihr nur auf dem Foto erhaltenes Pendant, über Eck gehängt war, kann vermutet werden. Verbirgt sich in der „deutschen“ oder „französischen“ Landschaft ebenfalls eine Heilungsszene? Dies kann derzeit auf dem historischen Foto nicht nachgewiesen werden. Sollte es realistisch sein, dass es in Plüschow Wandbespannungen mit der Gegenüberstellung von „Wiedehopf“ und „Lerche“ als Verarbeitung eines historischen Erzählstoffes gab, wäre davon auszugehen, dass diese von einem Künstler stammen müssen, der mit dem romanhaften Stoff vertraut war oder sich diesen aneignen konnte. Dies könnte ausschließen, dass ein lokaler Künstler oder Kunsthandwerker den Auftrag ausführte.

Abb. 49 Herrenhaus Plüschow, Treppe 1, Foto: Luisa Maria Lück 2023. Abb. 50 Herrenhaus Plüschow, Treppe 2, Gotland-Kalkstein, Foto: Hannes Rother 2022. Abb. 51 Herrenhaus Plüschow, Treppe 3, Foto: Luisa Maria Lück 2023. Abb. 52 Herrenhaus Plüschow, Treppe 4, Foto: Luisa Maria Lück 2023. Abb. 53 Herrenhaus Plüschow, Treppe 5, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 54 Herrenhaus Plüschow, Treppe 6, Foto: Hannes Rother 2022. Abb. 55 Herrenhaus Plüschow, Treppe 7, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 56 Herrenhaus Plüschow, Treppe 8, Foto: Hannes Rother 2022. Abb. 16 historisches Foto: „Plüschow – Treppenhaus 1763“, in: Brandt 1925, S. 94. Abb. 57 Historisches Foto: Herrenhaus Plüschow, Treppen, Foto: von Wolzogen 1943, © Förderkreis Schloss Plüschow e.V. Abb. 58 Herrenhaus Plüschow, Flur mit Stuck, Foto: Luisa Maria Lück 2023. Abb. 59 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 1, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 60 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 2, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 61 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 3, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 62 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 4, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 63 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 5, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 64 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 6, Foto: Luisa Maria Lück 2023. Abb. 65 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 7, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 66 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 8, Foto: Luisa Maria Lück 2023. Abb. 67 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 9, Foto: Hannes Rother 2022. Abb. 68 Herrenhaus Plüschow, Stuckbeispiel 10, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 69 Herrenhaus Plüschow, historische Leinentapete/Wandbespannung Stück 1, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 70 Herrenhaus Plüschow, historische Leinentapete/Wandbespannung Stück 2, Foto: Ulrike Gawlik 2023. Abb. 71 Herrenhaus Plüschow, historische Leinentapete/Wandbespannung Stück 3, Foto: Ulrike Gawlik 2023.