06. Besitzverhältnisse im 18. Jahrhundert

Aus Herrenhäuser
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Die Errichtung der barocken Gutsanlage und des Herrenhauses Plüschow wird vor 1763 von Philipp Heinrich (II.) von Stenglin, einem Hamburger Handelsherrn und Bankier (1718-1793), in Auftrag gegeben, nachdem dieser das Gut 1761[1] von Major Joachim Otto von Bülow für 224.000 Taler erworben hatte. Zu Gut Plüschow zählen zu diesem Zeitpunkt die Vogtei Plüschow bildend Testorf, Jamel, Meierstorf, Friedrichshagen, Boienhagen, Bahrendorf, Steinfort und Ovenhagen.[2] Von Stenglin war 1758 dänischer Kammerherr geworden und hatte 1759 die Reichsfreiherrenwürde erhalten. Von seinem Vater 1745 mit 400.000 Talern etabliert, verlor er im Zuge des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) ein Vermögen. 1763 verkauft er seine Wertpapiere am Stengliner Bankhaus (geführt unter dem Namen Peter Carstens) an Heinrich Carl von Schimmelmann (1724-1782)[3], der als Kaufmann in Europa, Afrika und Amerika äußerst erfolgreich tätig war und sehr viel Geld mit dem Handel von Sklaven verdiente. Trotz massiver Verluste kann von Stenglin das Gut Plüschow für sich und seine Familie erhalten und seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen. Die Familie bewohnt Plüschow im Sommer als „Villa suburbana[4] und wechselt in ein Hamburger Palais im Winter. Dieses war um 1720 vom Hamburger Architekten Johann oder Johannes Nicolaus Kuhn (1670-1744)[5] erbaut worden.[6] Da keine Quellen zum Bau des barocken Herrenhauses Plüschow erhalten sind, bleibt auch dessen Baumeister oder Architekt unbekannt.[7] Sabine Bock wagt 2013 dennoch eine Zuschreibung: der Hamburger Baumeister Ernst Georg Sonnin (1713-1794)[8] wahrscheinlicher als der Lübecker Baumeister Johann Adam Soherr (1706-1778)[9].[10] Sie betont zudem, dass „hinsichtlich der Kubatur, der Dachform und der Geschossigkeit (…) festzustellen [ist], dass das Herrenhaus in Plüschow in eine große Gruppe von Häusern gehört, wie sie im Verlauf des gesamten 18. Jahrhunderts in Ostelbien [historisch-geografische und politisch-kulturelle Gebietsbezeichnung] errichtet wurden.“[11] Sie benennt dazu die Beispiele Kummerow (Deutschland, circa 1725-1733)[12], ehemals Stolzenburg (Stolec, Polen, 1726/1728)[13], Emkendorf (Deutschland, um 1730), Rumpshagen (Deutschland, 1768-1770)[14], Johannstorf (Deutschland, ab 1743)[15] und ehemals Selsau (Dzelzava, Lettland, 1767)[16]. Der „Plan Plüschow mit dem Dorffe und der Ziegeley, Friedrichshagen, 1761/1762, von A. F. H. Schumacher & J. H. Susemihl“[17] (Abb.: 14) zeigt eine axial ausgerichtete Gutsanlage mit vier den rechteckigen Hof flankierenden Wirtschaftsbauten. Eine Allee führt senkrecht auf den Hof zu. Eine weitere Straße verbindet das Gut mit dem Dorf Friedrichshagen. Das Herrenhaus schließt den Hof in Richtung einer grünen Uferfläche und eines weitläufigen Sees ab. Längs des Hofes liegt ein geometrisch gestalteter Barockgarten, dessen Fläche größer als die des Gutshofes ist. Kleinere Gebäude außerhalb des zentralen Hofes ergänzen die Gesamtanlage. Diese liegt auf einer Landzunge im See. Die Datierung des Herrenhauses auf 1763 ist in einer Stuckkartusche, auf dem historischen Ziffernblatt der zum Gutshof ausgerichteten Uhr des Hauses sowie auf der Gutsglocke vermerkt. Dendrochronologische Untersuchungen, durchgeführt im Juni 2023 durch den Bauhistoriker Steffen-Tilo Schöfbeck, erbrachten, dass die Kiefern zum Aufrichten des mächtigen Dachstuhls in den Jahren 1756-1760 geschlagen wurden[18]. Keines der Wirtschaftsgebäude aus dem 18. Jahrhundert ist mehr erhalten. Sie gingen im Laufe des 20. Jahrhunderts durch Abriss oder Neubauten verloren. Das heute älteste erhaltene Wirtschaftsgebäude wurde Ende der 1920er Jahre gebaut. Ein von der Familie von Bülow 1750 errichtetes, heute noch bestehendes Haus, ist durch von Stenglin als Verwalterhaus genutzt worden.[19] Philipp Heinrich (II.) von Stenglin begründet 1766 aus seinem mecklenburgischen Besitz ein Fideikommiss, macht diese Entscheidung im Jahr darauf jedoch wieder rückgängig. Nach dem Tod seiner Frau Antoinette von Stenglin 1769, mit der Philipp Heinrich (II) vier lebende Kinder hatte, heiratet er seine zweite Frau Regine Magdalene von Stralendorff. Sie ist die Mutter zweier weiterer Kinder. Philipp Heinrich (II.) von Stenglin ist Patron der Kirche in Friedrichshagen.[20]

Nach seinem Tod in Plüschow 1793 erbt der älteste Sohn, Conrad Philipp von Stenglin (1749–1835)[21], die Plüschower Güter. Er hatte 1775 Louise von Stralendorff a.d.H. Klein Krankow geheiratet. Nach dem Dienst im Militär reicht Conrad Philipp um 1790 seinen Abschied ein. Er wird zum dänischen Kammerherrn ernannt und gilt aufgrund seiner Erbschaft als reicher Mann. Er kauft die Dörfer Steinfort und Testorf erneut zum Plüschowschen Besitz hinzu und lebt, wie er es aus seiner Kindheit kennt, den Sommer über in Plüschow, den Winter über in der Stadt (Ratzeburg oder Wismar). 1802 verkauft er das Gut schuldenfrei an Erbprinz Friedrich Ludwig zu Mecklenburg (1778-1819). Dem Kaufvertrag ist ein Inventarverzeichnis beigefügt, das das Verwalterhaus (ältestes Gebäude der barocken Gutsanlage, Bülowsches Haus (Abb.: 42)[22] und die Ausstattung von dessen Räumen beschreibt. Dort leben um die Wende zum 19. Jahrhundert der Inspektor des Gutes, die Haushälterin, Gesinde, der Gärtner und Mägde. Auch gibt es eine Schreibstube.[23]

Abb. 14 „Plan Plüschow mit dem Dorffe und der Ziegeley, Friedrichshagen, 1761/1762, von A. F. H. Schumacher & J. H. Susemihl“, in: LHAS 12.12-1 Karten von ländlichen Gemarkungen, Sign. 19629 [alt: Plüschow Ia].
  1. Vgl.: Bock 2013, S. 32. Bock korrigiert damit Josephi, der das Jahr 1758 als jenes angibt, in dem Philipp Heinrich (II.) von Stenglin „die acht Güter der Vogtei Plüschow“ erwirbt. (Josephi 1916, S. 47.)
  2. Vgl.: auch Bock 2013, S. 56.
  3. Heinrich Carl von Schimmelmann, https://www.deutsche-biographie.de/search?_csrf=e668af2b-477a-4a1c-96c5-23be8ba616d1&name=Heinrich+Carl+von+Schimmelmann+&st=ndb&facets=&cf=10%3Af_allpl&number=0&ot=&sl=%5B%5D&sort=, (17.11.2023).
  4. Vgl.: Fischer 1993, S. 46.
  5. Johann Nicolaus Kuhn, https://www.deutsche-biographie.de/search?_csrf=4bd05d72-f444-4395-9b11-c862e252801c&name=Johannes+Nicolaus+Kuhn+&st=ndb&facets=&cf=10%3Af_allpl&number=0&ot=&sl=%5B%5D&sort= (17.11.2023); Zu Johannes Nicolaus Kuhn (1670-1744) siehe: Heckmann 2000, S. 339-345.
  6. Vgl.: Bock 2013, S. 29-33; Josephi 1916, S. 47-48. Der Architekt Johann Nicolaus Kuhn erbaut 1721-1724 das backsteinsichtige, klar gegliederte und mit einem herausragend gestalteten Natursteinportal geschmückte Herrenhaus Steinhorst nahe Ratzeburg im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg (bis 1702 Herzogtum Sachsen-Lauenburg). (Vgl.: Lafrenz 2015, S. 558-560; Herrenhaus Steinhorst, https://de.wikipedia.org/wiki/Herrenhaus_Steinhorst (17.11.2023).) Mindestens Deert Lafrenz vermutet auch für das 1726/1728 erbaute Herrenhaus Pronstorf nahe Lübeck eine Entwurfstätigkeit Johann Nikolaus Kuhns. (Vgl.: Lafrenz 2015, S. 444-447; Pronstorf, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Pronstorf&title=Special:MediaSearch&go=Seite&uselang=de&type=image, (17.11.2023).) Die etwa zeitgleich erbauten Herrenhäuser Steinhorst und Pronstorf sind größer als das von seiner äußeren Anmutung her ähnliche, aber spätere Herrenhaus in Plüschow (1763). Aufgrund seiner Lebensdaten (1670 bis 1744) kommt Kuhn als Architekt von Plüschow nicht in Frage. Jedoch baut Kuhn um 1720 das Hamburger Palais der Familie von Stenglin und ist der Familie somit bekannt. Über weitere Forschungen zur Biografie Kuhns könnte in Erfahrung gebracht werden, ob er als in Hamburg und Umgebung tätiger Architekt Mitarbeiter beschäftigt hatte.
  7. Vgl. Josephi 1916, S. 47-54.
  8. Ernst Georg Sonnin, https://www.deutsche-biographie.de/search?_csrf=a7b6e594-ec0b-46a3-86dc-fb69ede54b4f&name=Sonnin%2C+Ernst+Georg&st=ndb&facets=&cf=10&number=0&ot=&sl=%5B%5D&sort= (15.11.2023); Zu Ernst Georg Sonnin (1713-1794) siehe: Heckmann 2000, S. 375-395.
  9. Johann Adam Soherr, https://www.deutsche-biographie.de/search?_csrf=14278f02-0147-45d3-a1ff-65aefd8e61f9&name=Johann+Adam+Soherr+&st=ndb&facets=&cf=10%3Af_allpl&number=0&ot=&sl=%5B%5D&sort= (17.11.2023); Zu Johann Adam Soherr (1706-1778) siehe: Heckmann 2000, S. 303-312.
  10. Vgl.: Bock 2013, S. 34-37; Fischer 1993, S. 47.
  11. Bock 2013, S. 37.
  12. Schloss Kummerow, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Schloss+Kummerow&title=Special:MediaSearch&go=Seite&uselang=de&type=image (17.11.2023).
  13. Stolec, https://de.wikipedia.org/wiki/Stolec_(Dobra), (17.11.2023).
  14. Rumpshagen, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Rumpshagen&title=Special:MediaSearch&go=Seite&uselang=de&type=image (17.11.2023).
  15. Johannstorf, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Johannstorf&title=Special:MediaSearch&go=Seite&uselang=de&type=image, (17.11.2023).
  16. Selsau, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Selsau&title=Special:MediaSearch&go=Seite&uselang=de&type=image (17.11.2023).
  17. ausführlich: „Plan von dem Ihro Hochgebohrenen dem Königl. Dänischem Cammer=Herrn, Herrn Baron von Stenglin zugehörigem Hof=Felde Plüschow mit dem Dorffe und der Ziegeley Friedrichshagen, mit Zugehör wie selbige in Annis 1761 & 1762 geometrisch gemessen und cartiret, auch ersteres reguliret worden von denen Herzogl. Landmessern A. F. H. Schumacher & J. H. Susemihl“, LHAS 12.12-1 Karten von ländlichen Gemarkungen, Sign. 19629 [alt: Plüschow Ia].
  18. Bohr-Protokoll für dendrochronologische Proben, Herrenhaus Plüschow, Mecklenburg-Vorpommern, Kreis: Nordwestmecklenburg, Bearbeiter: Dr. Steffen-Tilo Schöfbeck, Datum: 22. Juni 2023, Blatt: 1/1.
  19. Vgl.: Bock 2013, S. 32-33.
  20. Vgl.: Bock 2013, S. 54, 60.
  21. Stenglin Adelsgeschlecht Mecklenburg, https://de.wikipedia.org/wiki/Stenglin_(Adelsgeschlecht)#Mecklenburg (17.11.2023).
  22. Das sogenannte Bülowsche Haus in Plüschow, 1802, in: LHAS 5.2-5 Großherzogliche Vermögensverwaltung, Sign. 435 Bauten und Reparaturen.
  23. Vgl.: Bock 2013, S. 60-61. Josephi 1916, S. 48.