06. Besitzverhältnisse im 18. Jahrhundert
- 01. Einführung
- 02. Forschungsstand
- 03. Geschichte der Anlage vor dem 18. Jahrhundert
- 04. Überblick zur Gesamtanlage
- 05. Wirtschaftlicher Kontext
- 06. Besitzverhältnisse im 18. Jahrhundert
- 07. Herrenhaus: Baugeschichte und Architektur
- 08. Innenräume im 18. Jahrhundert
- 09. Garten und Park im 18. Jahrhundert
- 10. Wirtschaftsgebäude
- 11. Kirche
- 12. Geschichte der Anlage nach dem 18. Jahrhundert
- 13. Quellen- und Literaturverzeichnis
Die Bau-, Ausstattungs- und Gartengeschichte von Österbybruk im 18. Jahrhundert sollte die Herrenhausanlage grundlegend verändern. Nach den im Großen Nordischen Krieg 1719 in Uppland umfassend erfolgten Zerstörungen durch russische Truppen[1] gab es seitens der Familie De Geer ausgeprägte Initiativen, die Eisenhütten-Anlagen nicht nur wiederaufzubauen, sondern auch wirtschaftlich und baulich deutlich weiterzuentwickeln. In ihren Besitzungen erfolgten durch die Brüder Carl und Jean Jacques De Geer sowie durch drei Söhne von letzterem (Louis, Charles und Antoine) hohe Investitionen.[2] Für Österby war zunächst Jean Jacques De Geer[3] (Abb. 51) von Bedeutung, der erste Bauarbeiten initiierte, die auf eine größere geplante Anlage hinweisen: Es entstanden ein zweistöckiges Wohnhaus und gegenüberliegend 1635 eine Kirche, die später zu den dem Corps-de-Logis vorgelagerten Gebäuden wurden. Im Jahr 1738 erbte Jean Jacques‘ Sohn Antoine De Geer (Abb. 52) die Anlage.[4] Während sein Vater noch mehrheitlich in Holland gelebt hatte, ließ sich Antoine dauerhaft in Österbybruk nieder und heiratete 1745 die Schwedin Ulrica Charlotta Taube. Er hatte ohne Zweifel weitere Baupläne für die Anlage. Ein Entwurf für den Garten von Carl Hårleman (Abb. 53), der eine deutliche Vergrößerung und Umgestaltung zu einem französisch inspirierten Lustgarten vorsah, stammt ebenfalls aus den 1730er Jahren.[5] Am 9. August 1756 starb Antoine de Geer kinderlos. Seine Frau Ulrica Charlotta Taube, die bereits seit 1751 im Besitz von Österbybruk war, verkaufte das Anwesen an Antoines Bruder Charles De Geer (Abb. 54),[6] der bereits im Besitz von Lövsta, Stora Wäsby, Frötuna und Örbyhus war. Bereits 1758 verkaufte letzterer die Anlage gewinnbringend an den Stockholmer Großhändler und Direktor der schwedischen Ostindien-Kompagnie Claes Grill, der seit 1747 seinen jüngsten Halbbruder Johan Abraham Grill als Teilhaber hatte (Abb. 55, 56). Unter ihnen wurde schließlich 1763 mit den Bauarbeiten am Hauptgebäude des Herrenhauses begonnen. [7] Die bürgerliche Familie der Grills war ursprünglich in Augsburg ansässig,[8] bevor Anthoni Grill gemeinsam mit seinen Brüdern im 17. Jahrhundert nach Amsterdam umzog und dort als Silberschmied tätig wurde. Ihr Wappen, das in Österbybruk mehrfach bildlich integriert wurde, zeigt in Anlehnung an ihren Namen einen Kranich mit einer Grille im Schnabel (Abb. 3, 57). Anthoni Grill ist ab Mitte des 17. Jahrhunderts in Schweden tätig, insbesondere im Kontext der Metallgewinnung und von Verhüttungstechniken. Im Jahr 1658 wird er zum riksvärdie (riksguardie) am Myntverket in Stockholm ernannt, eine staatliche Position mit der Aufgabe, Münzen, Gewichte sowie Gold- und Silberarbeiten zu schätzen und zu überwachen. Die Familie blieb fortan in Stockholm. Von nachhaltiger Bedeutung war die Gründung eines Handelshauses durch Abraham und Carlos Grill, das in den 1720er und 1730er Jahren zu einem wirtschaftlichen Knotenpunkt wurde. 1738 stellte das Haus 64 % der Exporte aus Stockholm und war einer der größten Eisenexporteure des Landes. Im 18. Jahrhundert waren zahlreiche Familienmitglieder im Finanz- und Exportgeschäft sowie im Kontext der Eisenhütten tätig.[9] Ähnlich der De Geers kultivierten auch die Grills ihre Verbindungen nach Holland.[10] Claes Grill, der Österbybruk 1758 mit seinem Halbbruder Johan Abraham erwarb, zählte zu den einflussreichsten Repräsentanten der Familie: Er führte das Handelshaus zunächst mit seinem Onkel und nach dessen Tod ab 1747 mit seinem Halbbruder, betrieb europaweiten Handel mit Salz, Eisen, Waffen u.v.m. und wurde 1753 Direktor der schwedischen Ostindien-Kompagnie.[11] Zum Zeitpunkt des Erwerbs von Österby besaß das Handelshaus bereits die Eisenhütten in Iggesund und Gysinge (Abb. 58).[12] Zugleich zeigte Claes Grill ein breites Engagement in der Wissenschafts- und Kunstförderung, wo er seine finanziellen Möglichkeiten und zahlreichen Kontakte ausspielen konnte. Seit 1740 war er Mitglied in der gerade erst gegründeten Kungliga Vetenskapsakademien und 1748 zeitweise deren Präsident. Er pflegte Kontakte zu Carl Gustav Tessin und Carl Hårleman, finanzierte das 1748–1753 errichtete Observatorium in Stockholm und unterstützte Forschungsstipendien auf den Schiffsreisen der Ostindien-Kompagnie.[13] Claes Grill kann als typischer Vertreter eines aufgestiegenen und wohlhabenden Bürgertums der Zeit gelten. Seine Frau Anna Johanna Grill (Abb. 59) trat als Intellektuelle und Kunstinteressierte in Erscheinung und wurde als einzige Frau in das königliche Numismatische Comité gewählt, das ab 1744 eine Geschichte der schwedischen Numismatik erstellen sollte. [14] Sie besaß eine beachtliche Münzsammlung und stellte als weibliche Sammlerin auf dem Gebiet der Numismatik eine absolute Ausnahme dar.[15] Claes‘ Halbbruder Johan Abraham Grill hatte eine ähnlich einflussreiche Position in der Handelswelt inne, war zeitweise ebenfalls Direktor der Ostindien-Kompagnie, zudem Mitglied zahlreicher Gesellschaften und politisch in der Hattpartiet („Hutpartei“) aktiv.[16] Unter den Grills wurde die Anlage des Gartens und der Neubau des Herrenhauses vorangetrieben. Zeitweise kamen die Arbeiten 1765 zum Erliegen, da Claes und Johan Abraham Grill in einen Skandal um das Växelkontoret (Wechselbüro) involviert waren. Das Växelkontoret war 1746/1747 gegründet worden und handelte vor allem mit Schuldscheinen. Die großen Handelshäuser Stockholms waren Teilhaber, so neben Grill auch Jennings & Finlay und Peterson & Bedoire. Als die Mösspartiet („Mützenpartei“) 1765 im Reichstag die Macht übernahm, wurden zahlreiche Mitglieder des Växelkontoret, darunter auch die Grills, der Korruption und Misswirtschaft beschuldigt.[17] Claes und Johan Abraham Grill wurden zu einer Geldstrafe und hohen Rückzahlungen verurteilt. Mit dem erneuten Machtwechsel im Reichstag zugunsten der Hattpartiet im folgenden Jahr wurde das Urteil aufgehoben. Für mehrere Handelshäuser war der Skandal jedoch der Anfang vom Ende.[18] Die Arbeiten in Österbybruk wurden nun wieder aufgenommen, jedoch starb Claes Grill 1767. Johan Abraham Grill plädierte laut einem bei Bedoire erwähnten Brief dafür, die Arbeiten in Österby einzustellen.[19] Er erwarb 1767 das Herrenhaus Stora Nyckelviken (Abb. 60) nahe Stockholm, das er bis 1772 behalten sollte – offenbar verschoben sich seine Prioritäten.[20] Dass die Bautätigkeit in Österbybruk fortgeführt wurde, lag vermutlich an Claes Grills Schwiegersohn, Henrik Wilhelm Peill (Abb. 61) der 1769 durch die Heirat mit Claes Grills Tochter Anna Johanna Grill (II) Miteigentümer von Österbybruk geworden war.[21] Unter ihnen gelangten die Arbeiten Anfang der 1780er Jahre zu einem Abschluss.[22] Neben Österbybruk besaß Claes Grill eine Reihe weiterer Häuser in Stockholm und Umland sowie als Teil anderer Eisenhüttenanlagen. Auch weitere Familienmitglieder waren im Besitz repräsentativer Bauten, so dass man diesbezüglich von wechselseitigen Einflüssen und einem eng verwobenen familiären Netzwerk ausgehen kann. Die Geschäftsräume des Grillschen Handelshauses befanden sich im Grillska huset in Stockholm (Abb. 62), ein in den 1640er Jahren grundlegend umgebautes Gebäude, das bereits 1681 von Anthoni Grill erworben worden war und bis zur Schließung des Handelshauses 1800 im Familienbesitz bleiben sollte.[23] Ebenfalls in Stockholm erwarb Claes Grill 1763 den geschichtsträchtigen, ab 1640 erbauten Torstensonska palatset (Abb. 63) und erbaute zudem vermutlich ab 1766 das Grillsche Haus in Uppsala. Bereits um 1740 initiierte Claes Grill in Svindersvik (Abb. 64–66) nahe Stockholm den Bau eines Sommerhauses, wofür er Carl Hårleman beschäftigte und also denselben Künstler, der kurz zuvor den Garten von Österbybruk für Anthoni De Geer entworfen hatte. Svindersvik, bis 1780 im Familienbesitz, wurde im französischen Rokokostil erbaut und erhielt eine aufwendige Innenausstattung, die u.a. mit erhaltenen chinesischen Papiertapeten Claes Grills einflussreiche Position in der Ostindischen Kompanie spiegelte.[24] Carl Gustav Tessin sollte sich mehrfach in Svindersvik aufhalten.[25]
Österbybruk wurde nach dem Tod von Anna Johanna Grill (II) 1801 von ihrer Schwägerin Anna Johanna Abrahamsdotter Grill, Witwe von Adolf Ulrik Grill, erworben. Sie besaß bereits die Eisenhütte in Söderfors. Schon 1802 verkaufte sie die Hälfte an ihren Neffen, den Baron Per Adolf Tamm (Abb. 69), der 1823 alleiniger Eigentümer wurde.[27] Mit Per Adolf Tamm verbindet sich der letzte Familienname mit umfassenden Umgestaltungen der Anlage, die auch die Innenräume des Herrenhauses betrafen [link]. |
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- ↑ Vgl. zu den erfolgten Zerstörungen der verschiedenen Eisenhütten in Uppland näher Tigerstedt 1957, S. 557–559.
- ↑ Vgl. Evans/Rydén 2007, S. 75–77.
- ↑ Jean Jacques De Geer besaß Österbybruk von 1735 bis 1738, vgl. https://www.svenskaherrgardar.se/herrgardsdatabasen/gard/7360 (03.05.2024).
- ↑ Vgl. Bandet 1967, S. 347; https://www.svenskaherrgardar.se/herrgardsdatabasen/gard/7360 (03.05.2024).
- ↑ Vgl. Carlborg 2004, S. 11.
- ↑ Vgl. Upmark 1908, S. 318.
- ↑ Vgl. Upmark 1908, S. 318; Selling 1934, S. 106; Selling 1937, S. 252; Bandet 1967, S. 348. Eine bei Selling erwähnte Quelle von Daniel Tilas bestätigt den Beginn der Bauarbeiten am Corps-de-Logis zu diesem Zeitpunkt. Siehe näher das Kapitel zum Bau.
- ↑ Im Jahr 1571 wurde in Augsburg ein Wappenbrief ausgestellt, von dem sich beglaubigte Kopien von 1679 und 1682 erhalten haben. Vgl. Persson 2019, S. 3.
- ↑ Vgl. zur Familie Grill überblickend https://sok.riksarkivet.se/sbl/Presentation.aspx?id=13191 (19.05.2023); Bedoire 2013, S. 263–264.
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 265.
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 266–267.
- ↑ Vgl. https://www.svenskaherrgardar.se/herrgardsdatabasen/gard/1966 (03.05.2024); https://www.svenskaherrgardar.se/herrgardsdatabasen/gard/1475 (03.05.2024).
- ↑ Vgl. Persson 2019, S. 4–8.
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 268–269. Nach Aussagen von Tessin war Anna Johanna Grills Sammlung die viertgrößte des Landes. Nach ihrem Tod wurde sie durch ihren Sohn Adolph Ulric weiter ausgebaut und ging 1865 an das Kungliga Myntkabinettet. Zu diesem Zeitpunkt umfasste sie 5.162 Münzen, darunter 212 Goldmünzen, 2.023 Silbermünzen, 759 Bronzemünzen, 32 Zinn- oder Bleimünzen und 2 Eisenmünzen. 1997 gab die Schwedische Numismatische Gesellschaft eine Gedenkmedaille für Anna Johanna Grill heraus (21 Exemplare). Vgl. Persson S. 25–26. Siehe weiterführend auch Bring 1958, Pihlgren 1999.
- ↑ Unter den etwa 250 bekannten numismatischen Sammlern aus dem schwedischen 17. und 18. Jahrhundert lassen sich nur zwei weibliche Namen nennen, neben Anna Johanna Grill war dies noch Emerentia von Düben. Vgl. Haidenthaller 2023, S. 118.
- ↑ Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Grill_family (01.12.2023).
- ↑ Dies auch im Kontext einer im Jahr 1763 einsetzenden internationalen Finanzkrise, die zu Inflation und sich verschlechternder Wirtschaft geführt hatte. Vgl. Tjärnlund 2022, S. 134 [ohne Quellenangabe].
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 289–291; Tjärnlund 2022, S. 134–135 [ohne Quellenangabe].
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 303–304.
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 304. Das seit Ende des 17. Jahrhunderts existierende Anwesen erhielt sein heutiges Corps-de-Logis in den 1740er Jahren unter Herman Petersen, ebenfalls Direktor der Ostindien-Kompagnie und also mit den Grills gut bekannt. Unter ihm entstanden weitere Gebäude und der Garten; in den 1760er Jahren erweiterte der folgende Besitzer, der französische Botschafter Louis Auguste le Tonellier de Breteuil, das Anwesen, bevor es in Grills Eigentum überging. Vgl. https://sv.wikipedia.org/wiki/Stora_Nyckelviken (03.05.2024).
- ↑ Vgl. Upmark 1908, S. 318; Selling 1937, S. 257; Bandet 1967, S. 348.
- ↑ Vgl. Upmark 1908, S. 318.
- ↑ Vgl. https://sv.wikipedia.org/wiki/Grillska_huset (22.05.2023).
- ↑ Vgl. etwa Arfvidsson [u.a.] 2020.
- ↑ Vgl. Leijonhufvud 1922.
- ↑ Vgl. Bedoire 2013, S. 299–300.
- ↑ Vgl. Upmark 1908, S. 318; Bandet 1967, S. 348–349; Carlborg 2004, S. 16.