10. Wirtschaftsanlage
- 01. Einführung
- 02. Forschungsstand
- 03. Geschichte der Anlage vor dem 18. Jahrhundert
- 04. Überblick zur Anlage
- 05. Wirtschaftlicher Kontext
- 06. Besitzverhältnisse im 18. Jahrhundert
- 07. Herrenhaus: Baugeschichte und Architektur
- 08. Innenräume im 18. Jahrhundert
- 09. Garten und Park im 18. Jahrhundert
- 10. Wirtschaftsanlage
- 11. Kirche und Dorfstrukturen
- 12. Geschichte der Anlage nach dem 18. Jahrhundert
- 13. Quellen- und Literaturverzeichnis
Christinehof entstand als Teil einer Alaunhütte, die – fast zwei Kilometer westlich gelegen – ein weiträumiges Ensemble aus Arbeiterhäusern, Produktionsstätten und Verwaltungsgebäuden bildete. Neben diesem hauptsächlichen Wirtschaftsfaktor existierte eine beachtliche landwirtschaftliche Produktion, die dazu angetan war, die in der Alaunhütte Beschäftigten und also zeitweise mehrere Hundert Menschen zu versorgen. Nicht nur wurde ein Teil des Lohns seit Ende des 17. Jahrhunderts in Naturalien ausgezahlt, sondern es bildete sich ein weitgehend autarkes Versorgungssystem innerhalb der Alaunhütte aus. Zwei Fischteiche und ein großes Scheunen- und Stallgebäude lagen unmittelbar neben dem Herrenhaus. Die beiden Fischteiche, auf Adolf Fredrik Barnekows Zeichnung (Abb. 24) abgebildet und in Johan Lorentz Gillbergs Beschreibung genannt[1], wurden seitlich der zentralen Zufahrtsachse platziert (Abb. 32, 131) und verweisen in dieser exponierten Lage auf die Tradition und Bedeutung, die der Fischzucht gerade in Schonen beigemessen wurde. Die beiden Teiche in Christinehof sind unter ökonomischen Aspekten zu vernachlässigen, zumal andere Anwesen in Schonen um ein Vielfaches größere Teichwirtschaften mit Teichen in zweistelliger Zahl betrieben.[2] Auch Christina Piper ließ in Krageholm einen Stausee und weit entwickelte Karpfenteiche anlegen, die durch Pumpen und Kanäle verbunden waren und zudem Wasser zu Scheune, Küche und Brunnen im Garten leiteten.[3] Mit dem Thema hatte sie bereits früh Erfahrungen gesammelt: Um die Jahrhundertwende bewirtschafteten Carl und Christina Piper einige Jahre Ekebygård auf Ekerö nahe Stockholm, wo Christina unter anderem über die dortigen Fischteiche verhandelte.[4] In Schonen wurden im 17. und 18. Jahrhundert hauptsächlich Karauschen gezüchtet, die gut mit dem schwedischen Klima zurechtkamen und als Delikatesse galten. Fischteiche – und die damit verbundene Fischzucht – wurden zu einem distinktiven Element der Gärten.[5] Unterhalb der Herrenhausanlage entstand etwas abseits bis 1751 ein dreiflügeliges Wirtschaftsgebäude, das Mitte des 19. Jahrhunderts am selben Standort neu errichtet wurde (Abb. 147–149). Das Ensemble wurde als Scheune und Stall genutzt; letzterer nahm Ochsen für die Feldarbeit, Schweine, Schafe und Ziegen sowie im Winter die Arbeitspferde der Alaunhütte auf. [6] Die beachtliche Größe weist auf die umfangreiche landwirtschaftliche Produktion in Christinehof. Gillberg benennt 1767 einen Verbrauch von über 2000 Tonnen Getreide im Jahr, teils auch von den umliegenden Gehöften bezogen.[7] Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, insbesondere Gerste, Buchweizen, Roggen, gesalzenes Schweinefleisch und Aal, wurden in das große Lagerhaus neben den Stätten der Alaunproduktion gebracht und von dort an die Arbeiterschaft ausgegeben. Ein Großteil des Getreides wurde zudem für die Herstellung von Branntwein verwendet.[8] Oberhalb des größeren Fischteichs liegt zudem ein achteckiges Hühnerhaus (Abb. 34) – vermutlich nach Christina Pipers Tod entstanden – und daneben ein Eiskeller.[9] Die Alaunhütte bildete den hauptsächlichen Wirtschaftszweig in Christinehof. Mehrere Karten geben die bauliche Organisation des Areals wieder. Die früheste Darstellung datiert auf 1650[10] (Abb. 7) und zeigt die sich parallel zu dem kleinen Fluss Verkeån anordnenden Produktions- und Lagerstätten sowie bereits das etwas abseits gelegene ehemalige Andrarums gård (Abb. 8). Derselbe Ausschnitt sollte für die meisten Karten gewählt werden, so dass im 18. Jahrhundert das weiter entfernte Herrenhaus generell nicht auf ein und derselben Karte wie die Alaunhütte abgebildet wird. Zu den wichtigsten Darstellungen zählt jene von 1711 mit ausführlicher Legende,[11] auf der auch das alte Herrenhaus noch zu sehen ist (Abb. 13), sowie jene von 1730 mit Darstellung der Verkalinjen (Abb. 39), welche die Grenze für den erlaubten Holzbezug anzeigte.[12] Zwei Karten geben 1740 den genannten Ausschnitt der Produktionsstätten um das Flüsschen wieder[13] (Abb. 40, 41). In diesen beispielhaft genannten Karten lassen sich die Laugenbecken und darum liegende Gebäude nachvollziehen, darunter beispielsweise Lager-, Pfannen- und Kesselhäuser, das Lagerhaus, der Glockenturm oder die Unterkunft des Inspektors. Die Bauten der Alaunhütte werden von Gillberg 1767 als „wackert, stort och anseenligit, liknandes en Stad“[14] beschrieben. Die in der Landschaft erhaltenen Spuren lassen den Produktionsvorgang bis heute anschaulich werden (Abb. 20, 21, 45, 151). Eine Bodenradaruntersuchung im Jahr 2023 konnte die Platzierung der Becken und im Boden vermutlich noch vorhandene Holzleistungen abbilden; zugleich erwies sich die Karte von 1711 als äußerst exakt (Abb. 152–157). Die Arbeiterhäuser sind in weiterer Entfernung meist als einzelne Punkte in der Landschaft dargestellt, scheinbar ohne systematische, bewusst angelegte Struktur. Im Gegensatz zu den „ganzheitlich“ geplanten Idealsiedlungen der schwedischen Eisenhütten, insbesondere Lövsta und in der Nachfolge beispielsweise Erstavik, Gimo, Österbybruk oder Forsmark, scheint in Andrarum der Fokus nicht auf einer konzeptuell gestalteten Anlage gelegen zu haben, sondern ist diese – zusammen mit der sich zunehmend verdichtenden Infrastruktur – mit steigender Bevölkerungszahl organisch gewachsen. Bei den Unterkünften der Arbeiterschaft handelte es sich um einfache Fachwerkhäuser (Abb. 11, 42, 158, 159), meist auf rechteckigem Grundriss, mit einem mit Stroh gedeckten Dach und teils einem vorspringenden Teil für den Ofen.[15] Im Jahr 1770 beispielsweise gab es 124 Arbeiterhäuser und lebten dort 173 Familien. [16] Aus den Jahren 1758–1759 haben sich im Archiv von Christinehof beispielsweise einige Zeichnungen zu diversen Gebäude auf dem Alaungelände erhalten, so unter anderem zum Schulgebäude, dem Direktorenhaus und mehreren Wohnhäusern.[17] Ein Glockenturm war mindestens seit 1711 fester Bestandteil der Alaunhütte, wobei Norrevång der früheste überlieferte Standort ist. 1730 fiel der Glockenturm – zusammen mit weiteren Gebäuden – einem großen Brand zum Opfer und wurde in Bergsbo nahe des Inspektoren-Hauses wieder aufgebaut. Als die Kirche in Andrarum 1750 eine neue, größere Glocke erhielt, wurde die alte, aus dem Jahr 1572 stammende Glocke im Glockenturm angebracht, wo sie bis 1767 hing und dann zerbrach. Vermutlich um 1800 wurde der Glockenturm im Zusammenhang mit dem Bau eines neuen Inspektorenhauses (heute als „Förvaltarstallet“ bekannt) an das östliche Ende der Alaunhütte versetzt. Diese Verlegung stand auch in Zusammenhang mit dem Abbau des südlichen Werks und des Pfannenhauses 1792. Laut einer Inschrift wurde der Glockenturm 1912 wieder aufgebaut, eventuell nach einem Einsturz, und 1957 renoviert und umgestaltet. Die Konstruktion ist seit 1730 vermutlich ähnlich geblieben. Im Jahr 2011 wurde eine umfassende Restaurierung vorgeschlagen [letzte Renovierung?].[18] Erwähnenswert ist zudem die bereits in das 18. Jahrhundert zurückreichende Tanzfläche, die für die Arbeiterschaft der Alaunhütte zu einer zentralen Freizeiteinrichtung und für die Region langfristig zu einer wichtigen Tradition mit regelmäßigen Veranstaltungen wurde. Erst 2009 erfolgte ihre Schließung.[19] |
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- ↑ Bei Gillberg heißt es: „Emellan Borg och Ladugården ligga 2:ne fiskedammar belägne.“ Gillberg 1767, https://www.osterlenanor.se/andrarum/ (16.04.2024).
- ↑ Vgl. die Beispiele bei Svanberg/Bonow/Olsén 2012.
- ↑ Dieses System wird von Linné beschrieben. Vgl. Linné 1751, S. 266, https://linnean-online.org/119992/#?s=0&cv=295&z=-0.0398%2C0.0652%2C1.0682%2C1.3064 (13.11.2023).
- ↑ Vgl. Norrhem 2010, S. 53.
- ↑ Vgl. Svanberg/Bonow/Olsén 2012, S. 86.
- ↑ Vgl. https://www.christinehofslott.se/christinehofs-gard/ (29.09.2023).
- ↑ Vgl. Gillberg 1767, https://www.osterlenanor.se/andrarum/ (16.04.2024).
- ↑ Vgl. https://www.christinehofslott.se/christinehofs-gard/ (29.09.2023).
- ↑ Das Hühnerhaus ist bei Barnekow nicht eingezeichnet, aber Teil der Karte von 1864. Im 20. Jahrhundert wurde es auch als Wohnhaus genutzt. Vgl. https://www.christinehofslott.se/attakanten-och-iskallaren/ (29.09.2023).
- ↑ Übersichtskarte von der Alaunbruk, ohne Titel, ohne Datum, geschätzt auf 1650, Archiv Christinehof (abgebildet bei Stoltz 1932, Fig. 1, S. 67); aus dem 17. Jh. existiert eine weitere Karte von 1685, abgebildet bei Stoltz 1932, Fig. 3, S. 72–73 (siehe dort auch für die Archivsituation).
- ↑ Vgl. Geometrisk Charta Uppå Andrarums Alunewärk . . . Afmätt Åhr 1711 in Octobri Månadh af Z. Almgrehn, https://historiskakartor.lantmateriet.se/hk/viewer/share/K1-3:1/4c4d535f4b312d333a31/lms2/LMS/Andrarums%20socken%20Andrarum%20nr%201-26/Geometrisk%20avm%C3%A4tning (29.09.2023).
- ↑ 1730, Anton Cöpinger (Sohn?), abgebildet bei Stoltz 1932 Fig. 13 S. 98: Abb. der Karte [auch bei Hansen Karten S. 37 und hier in Farbe!], die in Christinehof liegt („Geographisk Charta öfwer Ahlunbrukets skogar, Anno 1730.“);
- ↑ Vgl. Geometrisk Declineation öfwer Andrarums Alunbruk, 1740, https://historiskakartor.lantmateriet.se/hk/viewer/internal/11-and-3/0003ylp0/lm11/REG/11-and-3/Ägomätning (29.09.2023); https://historiskakartor.lantmateriet.se/hk/viewer/internal/11-and-3/0003ylp0/lm11/REG/11-and-3/Ägomätning (29.09.2023).
- ↑ Vgl. Gillberg 1767, https://www.osterlenanor.se/andrarum/ (16.04.2024).
- ↑ Anlässlich der Neueindeckung des Daches der heutigen Kaffestugan wurde in einer kleinen Studie die Frage aufgeworfen, ob die Häuser einst mit Reet oder Stroh gedeckt waren. Läge ersteres zwar aufgrund des nahen Sees Verkasjön nahe, sind zumindest im 19. Jahrhundert große Strohlieferungen belegt, die für die Arbeiterhäuser gewesen sein müssen, da der Brandschutz eine Verwendung auf den Produktionsgebäuden bereits verbot. Vgl. Rosenberg 2013.
- ↑ Vgl. Björkander 2008, S. 24.
- ↑ Vgl. Archiv Christinehof, F/I 5, 36–44.
- ↑ Vgl. Juhlin Alftberg/Stalin Åkesson 2011, S. 16–17.
- ↑ Vgl. Juhlin Alftberg/Stalin Åkesson 2011, S. 5–6. Die Tanzfläche mit dazugehörigen kleinen Gebäuden wurde 1951 an ihren heutigen Standort neben dem Schieferbruch verlegt.