11. Kirche und Dorfstrukturen

Aus Herrenhäuser
Wechseln zu: Navigation, Suche

Andrarum

Die nach Christinehof führende Allee bildet nicht nur eine repräsentative Zufahrtsstraße, sondern verbindet das Herrenhaus zugleich auf direktem Weg mit dem etwa zwei Kilometer entfernten Dorf Andrarum.[1] Die dortige Pfarrei wird 1350 erstmals mit Androetharum benannt.[2] Erhöht auf einem Hügel steht die Kirche, deren Ursprünge in das 12. Jahrhundert zurückgehen. Die Dorfanlage konzentriert sich um die zentrale Dorfstraße und war im 18. Jahrhundert eng mit der nahen Alaunhütte verbunden. Die früheste Übersichtskarte der Region, die Skånska rekognosceringskartan[3] (Abb. 161), zeigt die Siedlung und ihre Nähe zur Alaunhütte und zu Christinehof. Insbesondere die baulichen Erweiterungen und die Innenausstattung der Kirche zeugen von dem Einfluss der Pipers. Der daneben liegende Friedhof veranschaulicht Sozialstruktur und Bevölkerungsentwicklung im Spiegel der Alaunindustrie. Heute sind in Andrarum nur wenige Gebäude aus der Zeit vor 1900 erhalten. Im Dorf gab es 1767 ein Pfarrhaus (prästgård), mehrere Christinehof unterstehende Gutshöfe (frälsehemman) und acht sogenannte gatehus, womit entlang einer Dorfstraße gebaute Häuser benannt wurden. Im Zuge der landwirtschaftlichen Bodenreform in Schweden (Enskiftet) kam es im 19. Jahrhundert zu grundlegenden Neuaufteilungen des Grundbesitzes. Es existierten zu diesem Zeitpunkt insgesamt 23 Höfe in Andrarum, die sich hauptsächlich westlich der Kirche situierten und den Pipers unterstanden. Die Gebäude waren mehrheitlich aus Holz und vermutlich mit der bei der Alaunproduktion abfallenden roten Farbe bemalt.[4] 1804 und 1808 entstandene Flurkarten[5] zeigen den Charakter des umliegenden Landes, das weitgehend von Acker- und Weideflächen bestimmt wurde.[6]

Kirche

Die Religion spielte im Leben von Christina Piper eine wesentliche Rolle. Aus ihren Korrespondenzen geht eine tiefe Frömmigkeit hervor, die sich in ihrem karitativen Engagement und ihren Investitionen in diverse Kirchengebäude ausdrückte. Mit letzteren verband sich ebenso ein Machtbewusstsein, denn sie bemühte sich in Schonen um Kontrolle und Einfluss in den Gemeinden und erlangte die Patronatsrechte in Andrarum, Högestad, Krageholm und Sövestad.[7]

Die Baugeschichte der Kirche in Andrarum[8] (Abb. 26, 162, 163) geht vermutlich, ähnlich anderer romanischer Kirchen der Region, auf das 12. Jahrhundert zurück. Einige mittelalterliche Elemente haben sich erhalten.[9] Wahrscheinlich im 15. Jahrhundert wurden Gewölbe eingezogen, die um 1475–1525 von einer heute unbekannten Werkstatt – benannt als „Meister von Everlöv“ (Everlövsmästaren) – mit Fresken bemalt wurden (Abb. 164). Mit der Gründung der Alaunhütte durch Jochum Beck im 17. Jahrhundert verzeichnete Andrarum einen sprunghaften Bevölkerungsanstieg; bereits Beck plante eine Erweiterung der Kirche, die indes nicht zur Umsetzung kam.[10] Erst 1709 wurde ein kleiner Erweiterungsbau nach Norden vollendet und entstanden zwei Gruftgewölbe, in die der 1682 verstorbene Jochum Beck und seine Frau Elsa Friis umgebettet wurden.[11] Als Christina Piper die Alaunhütte um 1725 übernahm, rückte auch die Kirche in ihren Fokus. Sie initiierte zahlreiche Erneuerungen und stiftete einige Ausstattungsobjekte für den Innenraum, die nahezu alle von dem von ihr umfassend geförderten schonischen Bildhauer Johan Jerling ausgeführt wurden.[12] Andrarums Kirche war kein Einzelfall: Christina Piper beschäftigte Jerling auch in den Kirchen in Sövestad, Baldringe, Högestad, Ängsö und Vist bei Sturefors[13], zudem in der Kapelle ihres Hauptwohnsitzes in Krageholm, die nach Plänen von Nicodemus Tessin d. J. errichtet worden war. Der Stellenwert insbesondere der Kirchenausstattungen entspricht der hohen Bedeutung, die Christina Piper dem Glauben zeitlebens einräumte. Wie ihr Mann Carl Piper, war sie eine überzeugte Anhängerin des Pietismus und bewahrte fast ausschließlich religiöse Literatur in ihrer Bibliothek in Krageholm auf.[14] Zugleich boten die Kirchen einen öffentlichen Raum, in dem sie ihren Einfluss in der Region und ihren materiellen Erfolg effektvoll vor Augen führen konnte. Noch 1750 stiftete sie für die Kirche in Andrarum eine neue Glocke, die indes vermutlich zum Einsturz des Turms im selben Jahr führte. Unter ihrem Sohn Carl Fredrik Piper erfolgte 1768 schließlich ein großer Anbau im Norden, die sogenannte Verkakyrkan, mit darunter liegender Gruft.[15] Am Nordgiebel zeugen noch heute die großen Initialen von Carl Fredrik Piper und seiner Frau Ulrike Christina Mörner sowie die Jahreszahl 1768 von dieser Erweiterung (Abb. 165, 166), wobei die Kosten nur als Darlehen gegeben wurden und zurückgezahlt werden mussten. Zur gleichen Zeit wurde auch der Friedhof vergrößert um hauptsächlich Beschäftigte der Alaunhütte aufzunehmen, deren soziale Struktur sich anhand der Gräber bis heute ablesen lässt.[16]

Zahlreiche Eingriffe erfolgten im 19. Jahrhundert, von denen ein neuer Turm im Westen 1817 nach Entwürfen von P. W. Palmroth den Charakter der Kirche am Nachhaltigsten veränderte. Weitere Veränderungen – darunter ein neuer Eingang, die Umstellung des Altars oder ein Umbau der Waffenkammer in einen Chor mit Sakristei – veränderten die Kirche weiter, jedoch blieben die großen Züge des 18. Jahrhunderts erhalten. Im 20. Jahrhundert fanden eine Reihe an Renovierungskampagnen statt, die unter anderem den Fußboden, die Kirchenbänke und die Wände betrafen.[17]

Innenraumausstattung

Der Einfluss von Christina Piper manifestierte sich insbesondere in der Ausstattung der Kirche, über die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert ein repräsentativer und dem Status der Stifterin angemessener Innenraum geschaffen wurde (Abb. 167). Die kostspieligen Ausstattungsobjekte gab Christina Piper erst ab 1742 und somit etwa ein Jahr nach der Vollendung von Christinehof in Auftrag. Johann Jerling schuf eine Kanzel mit Baldachin und Dekorelementen aus vergoldetem Holz (Abb. 168, 169): Tiersymbole der Evangelisten, Arabesken, Akanthusblätter und Engelsfiguren sowie ein bekröntes Monogramm auf dem Baldachin schmücken das Ensemble. Jerling realisierte zudem 1750 einen Altaraufsatz mit einem Gemälde, das eine Abendmahlsszene zeigt. Der prächtige, geschnitzte Holzrahmen wird von zwei Säulen eingefasst; darüber erhebt sich ein Aufbau, auf dem zentral eine Christusfigur und beidseitig zwei Engelsfiguren platziert sind (Abb. 170).[18] Im selben Jahr stiftete Christina Piper eine große Uhr, ausgeführt von Andreas Wetterholtz.[19] Die Kirche in Andrarum vereinte folglich mehrere Funktionen, war ein Ort für die Gemeinde und insbesondere die Alaunhüttenbeschäftigten, aber sollte gleichermaßen den repräsentativen Ansprüchen einer Schlosskirche in unmittelbarer Nähe zu Christinehof genügen.[20]

  1. Dorfstruktur, landschaftliche Umgebung und kulturelle Bedeutung von Andrarum wurden 2002 durch das Landsantikvarien in Schonen mit Blick auf die weitere Erhaltung und Entwicklung untersucht. Anlässlich wurden historisch interessante Gebäude in einer Datenbank verzeichnet. Vgl. Ortsrapport Andrarum 2002.
  2. Vgl. Ortsrapport Andrarum 2002, S. 5.
  3. Vgl. überblickend https://sv.wikipedia.org/wiki/Skånska_rekognosceringskartan (13.03.2023). Der Ausschnitt zu Christinehof und Andrarum ist digitalisiert: Riksarkivet, Topografiska kåren / Fältmätningskåren / Ingenjörskåren, Skånska rekognosceringskartan, 1812–1820, VÖ 205, https://sok.riksarkivet.se/bildvisning/K0035847_00001 (13.03.2023).
  4. Vgl. Ortsrapport Andrarum 2002, S. 5, S. 8; Börjesson 2018, S. 4.
  5. Vgl. Lantmäteristyrelsens arkiv, K1-3:3, 1804, https://historiskakartor.lantmateriet.se/hk/viewer/share/K1-3:3/4c4d535f4b312d333a33/lms2/LMS/Andrarums%20socken%20Andrarum%20nr%201-26/Enskifte (10.03.2023); Lantmäterimyndigheternas arkiv, 11-and-11, 1808, https://historiskakartor.lantmateriet.se/hk/viewer/share/11-and-11/0003m5og/lm11/REG/11-and-11/Enskifte (10.03.2023).
  6. Vgl. näher Ortsrapport Andrarum 2002, S. 6.
  7. Vgl. Norrhem 2010, S. 162, 204, 207–209.
  8. Eine Übersicht über die Geschichte der Kirche mit Verlinkung relevanter Literatur unter https://www.svenskakyrkan.se/brosarp/andrarums-kyrka (13.03.2023). Hervorzuheben ist eine Arbeit, die von Anneli Andersson 2002 an der SLU (Sveriges lantbruksuniversitet) in Alnarp zur Entwicklung des Friedhofs in Andrarum verfasst wurde (vgl. Andersson 2002) sowie ein 2018 für den schonischen Landsantikvarien entstandener kulturhistorischer Überblick von Kerstin Börjesson (vgl. Börjesson 2018). Das einst in Andrarum aufbewahrte Kirchenarchiv wurde bei einem Brand 1875 größtenteils zerstört. Vgl. Andersson 2002, S. 5.
  9. Vgl. zu den erhaltenen mittelalterlichen Bauteilen Börjesson 2018, S. 4.
  10. Vgl. Börjesson 2018, S. 4.
  11. Vgl. Börjesson 2018, S. 5.
  12. Johan Jerling lebte ab circa 1719 bis zu Christina Pipers Tod 1752 mit seiner Frau Anna Maja und dem Sohn Carl auf Krageholm. Neben einer intensiven Beschäftigung durch Christina Piper war Jerling auch in anderen Kontexten tätig, dort teils mit großen Verzögerungen. Das 1719 für die Marienkirche in Ystad bei ihm in Auftrag gegeben Altarbild wurde beispielsweise erst 1733 geweiht. Vgl. Norrhem 2010, S. 213; Gröndahl 2021d, S. 148. Vgl. auch die Einträge im Svenskt biografiskt lexikon, https://sok.riksarkivet.se/sbl/artikel/12078 (13.03.2023) und im Svenska män och kvinnor: biografisk uppslagsbok, Bd. 4, 1948, S. 56, runeberg.org/smok/4/0072.html (14.03.2023).
  13. Vgl. Norrhem 2010, S. 213.
  14. 1732 ließ sie 5000 Exemplare des ab 1605 erschienen Erbauungswerks Vier Bücher vom wahren Christentum des lutherischen Pfarrers Johann Arndt drucken, das in Teilen von Carl Piper während seiner russischen Gefangenschaft übersetzt worden war. Vgl. zu Christina Piper und dem Pietismus näher Ulvros 2021, hier insbesondere S. 141.
  15. Vgl. Börjesson 2018, S. 5–6.
  16. Zur Entwicklung des Friedhofs vgl. Andersson 2002, hier S. 4, 13; Verlinkung Gert?
  17. Vgl. Börjesson 2018, S. 6. Die Renovierungen fanden 1930 (Architekten: Nils Blanck, Eiler Graebe), in den 1960er Jahren (Architekt: Torsten Leon-Nilson), 1973 (Architekt: Carl-Axel Acking) und 1999 (Architekt: Hans Ponnert) statt. Eine detaillierte Beschreibung des gesamten Gebäudes, inklusive der mobilen Gegenstände, bei Börjesson 2018, S. 7–14.
  18. Vgl. Börjesson 2018, S. 12–13; Gröndahl 2021d, S. 149–151. Hier auch Vergleichsabbildungen aus anderen schonischen Kirchen (S. 152–157).
  19. Vgl. Börjesson 2018, S. 14.
  20. Vgl. Börjesson 2018, S. 18.